Texte

Koichi Nasu


My paintings are physical and my paintings are metaphysical.
Barnett Newman, 1966

Es sind Bilder, die über sich hinausführen.

Schon ein einziges Bild von Koichi Nasu vermag es, einen ganzen Raum zu füllen. Es zieht den Betrachter an, lockt ihn zu sich und entführt ihn, zunächst ganz unmerklich, in einen weiten, offenen Gemütszustand.

Zarte, unaufdringliche Farben bilden zusammen mit feinen, geraden Linie und rechten Winkeln, stets leicht schräg gestellt zu der äußeren, meist rechteckigen Form des Tableaus, ein ruhiges und dennoch spannungsreiches Feld. Die monochromen Farben sind transparent. Auch das Material gelegentlich: Lagen von feinem Japanpapier, eingefärbt oder unbehandelt, über Nessel und Karton zum Beispiel. Und so kann man immer wieder einmal in die Vergangenheit des Bildwerdens schauen, in die Tiefe, aus der überdeckte Farben verhalten zur Oberfläche hin schimmern und ihr damit eine sanfte Lebendigkeit geben.

Gelegentlich begegnen wir weißen Linien auf dunklem Grund. Gibt es Tag-Bilder, Nacht-Bilder? Tatsächlich ist da immer wieder einmal die Erinnerung an den Blick aus großer Höhe, der Koichi Nasu durch seine vielen Reisen zwischen Tokio und Frankfurt vertraut gewesen sein muss.

Die fein mit Graphitstift oder Feder gezeichneten Linien kommen hervor aus ihren rechten Winkeln, begleiten Farbfeldgrenzen meist spielerisch und streben dem Bildrand zu. Dort überlegen sie nicht lange, und schon führen sie ihre Betrachter über Grenzen hinweg in größere Dimensionen hinein.

Koichi Nasu war ein konstruktiv arbeitender Künstler. Aber er schuf keine in sich geschlossenen Systeme wie etwa Mondrian. Auch benötigte er weder Gelb noch Rot noch Blau als nur dekoratives Element. Die Farben von Koichi Nasu ergeben sich vielmehr aus dem Bildinneren, seine Linien und Flächen sind offen zu allen Seiten hin. Seine Bilder wachsen über ihre physischen Grenzen hinaus und regen ihre Betrachter dazu an, ihnen bei diesem Abenteuer zu folgen.

Peter-Cornell Richter, 2013
Quelle: Text zur Ausstellung, Koichi Nasu. Arbeiten von 1979 – 2001, Galerie Friedrich Müller, Frankfurt, 2013



Linien durchkreuzen den imaginären Raum


Koichi Nasu kam nach Deutschland, als er sich gerade in einer Aufbruchphase befand, so dass ihn vieles, was ihn beeindruckte, auch beeinflusste. Doch sehr bald fand er in neu gewonnenem Abstand zu seinem eigenen Weg zurück, und dieser bedeutete die Linie; die Linie, in Polarität gesetzt zu einem imaginären Raum in der Zweidimensionalität der Fläche, asymmetrisch geteilt durch Kreuzungen, Winkel, Diagonalen. Das heißt sie öffnen ohne Raumillusionismus die Fläche zu einem tektonischen Raum, und doch bleibt die Fläche als solche bestehen.

Durch diese Linien in fast geometrischer Strenge entstehen Arbeiten von einer kühlen, unpersönlichen Schönheit. Das ist es, worauf es Nasu ankommt: es soll ihn zur Befreiung seines Ichs führen und ihm eine gewisse Unabhängigkeit von sich selbst verschaffen, um nicht der Gefahr einer zwanghaften Ich-Bezogenheit oder exaltierten Spontaneität zu verfallen, die er in der augenblicklichen europäischen Kunst zu beobachten meint.

Dass er dabei nicht in das Statische des europäischen Konstruktivismus gerät, ist seiner Fähigkeit zu verdanken, den Linien bei aller Strenge eine gewisse, leise vibrierende Lebendigkeit zu verleihen. Diese aktive Beteiligung der Linie erreicht Nasu durch eine selbst entwickelte, komplizierte Technik, wobei das Material, das ihm immer wichtiger wird, der entscheidende Ausgangspunkt ist. Auf mit Acryl grundiertem Nessel zieht er bereits die erste Linie. Dann deckt er darüber japanisches Papier, das durch seine Struktur so elastisch wie transparent ist. Auf die folgende Acrylschicht setzt er weitere Linien und wiederholt das mehrere Male. Auch können dann oft Farben hinzutreten, bis er schließlich mit scharfem Graphitstift die ihm wichtigsten Linien nachzieht, tief eingräbt. Dadurch und besonders durch die bei vielschichtigen Arbeiten sich wölbenden »Furchenränder« entsteht zudem eine Schattenwirkung, die ebenfalls zur Verlebendigung der Linie beiträgt. Als letztes wird die Bildfläche geschliffen, um ihr die Transparenz des Papiers zurückzugeben.

Irmtraud Schaarschmidt-Richter, 1986
Quelle: Publikation, Drei Dimensionen, Japanische Kunsttage, Köln 1986



Formen der Unabsichtlichkeit

Formen bestehen aus einer objektiv-systematischen Kategorie. Beispiel: die Formen eines gewachsenen Wohngebietes in einem Stadtplan, technische Zeichnungen, Architekturpläne.


Der Ausgangspunkt dieser Formen richtet sich nicht nach einer subjektiven Absicht, sondern ist urbane Gegebenheit. Diese Unabsichtlichkeit hat mich interessiert und dazu geführt, mein Thema durch Systematisierung der Malerei zu erreichen und weiter zu entwickeln.

Funktionspläne als Ausgang und Anlaß einer Prinzipialisierung, Schematisierung des gefundenen Anfangs.

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Seit 1971 beschäftige ich mich damit, mein Thema durch den Dualismus von grafischer und farbiger Raumform zu entwickeln. Dabei beschränke ich mich formal auf zwei Dimensionen, d.h. reine optische Konsequenzen.

Als Japaner möchte ich die Problematik und Entwicklungsgeschichte der bildenden Kunst in Europa erleben und mich damit auseinandersetzen. Als ich nach Europa kam, bemerkte ich die gravierenden Unterschiede in Ost und West, in Sprache, Verhaltensart der Menschen und der damit verbundenen Denkweisen.

Als ich in Japan lebte, meinte ich, genügend Informationen über europäische Kunst bekommen zu haben. Dieses Wissen stellte sich dann als sehr oberflächlich heraus.

Bis vor einem Jahrhundert existierte im japanischen Wortschatz das Wort „Kunst“ nicht. Erst durch die Berührung mit fremdländischer Kultur (nach Japans jahrhundertelang existierender Isolation) kam die entsprechende Übersetzung des Wortes und des Begriffes zustande. Das war der Anfang, in Japan sich über die Kunst Gedanken zu machen. Was waren aber die künstlerischen Tätigkeiten in Japan bis dahin? Solche existierten doch seit erdenklichen Zeiten. - Es liegt in der Natur der Japaner, d.h. in ihrem Harmonieverständnis zur Außenwelt, Naturphänomene, andere Menschen, ihre eigenen Tätigkeiten geradezu unreflektorisch als Fakt zu akzeptieren.

Wichtig ist der Konsensus mit dem „Ich“, welches den Versuch einer Analyse geradezu verbietet.

Durch die Berührung mit Kunst und Denkvorstellung z. B. europäischer Kultur wurde in Japan erstmals ernstlich auch über Kunst reflektiert. Gerade aber diese Reflektion ist ein Vorgang, der sich aus der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zwingend ergibt, schon um ein Selbstverständnis zu erzeugen.

Ich habe mich durch räumlichen Abstand von meinem Geburtsland persönlich finden können. Durch Distanz sehe ich klarer, was in mir und vor mir auch als Traditionsreihe gestaltet wird.

Koichi Nasu
Quelle: Katalog, Koichi Nasu. Arbeiten von 1973 – 1978







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